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Monumentale Widerstände

Evelyn Schalk, 2009

„Ich schreibe die Spuren der Bewegung“, meinte Ulrike Truger einmal über ihre Arbeiten –tatsächlich ist sie eine Frau, die Spuren hinterlässt, an denen man nicht vorbeikommt – zumindest nicht, ohne selbst Bewegung(en) zu vollziehen, damit Prozesse in gang zu setzen.
Durch ihren bildhauerischen Schreibakt werden diese Spuren Realität, wird aus den Prozessen der Vergangenheit, historischen wenn man so will, individuellen wie kollektiven, Handlungsraum der Gegenwart.
Da sind zum einen ihre Arbeiten im öffentlichen Raum. Hart erkämpfter Raum, der gar so öffentlich letztlich noch immer oder schon wieder nicht ist, setzt man öffentlich mit frei zugänglich gleich. Monumentale Kunstwerke von Frauen bestimmen ihn jedenfalls nur selten, politische, gesellschaftskritische Auseinandersetzungen, Infragestellungen noch weniger. Vielmehr ist er von einem dichten Netz an Interessen über- und durchzogen, die ihn konstituieren. Angriffe auf diese Strukturen werden nicht ohne Grund als Bedrohung bestehender Hierarchien gewertet – entsprechend wird darauf reagiert.
Eine von Ulrike Trugers wohl bekanntesten Arbeiten ist die Wächterin, die seit 2000 vor dem Wiener Burgtheater ihren Platz einnimmt. Die Geschichte ihrer topographischen und ideellen Verortung spiegelt zu einem guten Teil die Entwicklungen einer Gesellschaft und ihrer Verhältnisse wider. 1987/88 entstanden, kam die drei Meter Höhe messende Figur aus fünf Tonnen Statuario-Marmor erstmals 1993 im gesellschaftspolitischen Kontext im oststeirischen Hartberg zum Einsatz, als Pfarrer August Janisch als erstes Opfer von einer Briefbombe verletzt wurde. Gegenüber dem Weihnachtsbaum placiert, wirkt der Fels wie eine Versicherung zwischen den Lichtermeer-Kerzen, die im Gegensatz dazu nach der Kundgebung wieder verlöschen.
http://www.ulriketruger.at/html/gespol_projekte1b.htm
Die Wächterin jedoch bleibt und steht, steht ein für die Menschenwürde, die Ziel der Attentate wurde. Stellte sie in diesem Kontext noch den ruhigen, aber manifesten Anspruch der Schutzfunktion über selbige, wird sie bei ihrem nächsten Einsatz zur provokanten Kämpferin gegen jene Kräfte, die Jahre zuvor an den ideologischen Fundamenten der Briefbombenanschläge mitgebaut hatten. Im Jahr 2000 installiert Truger ihre Skulptur als Protest gegen die erste schwarz-blaue Koalition vor dem Burgtheater – ohne Genehmigung. Sie zieht gleich, nimmt sich den Raum, den andere ungeachtet der Gegendemonstrationen für sich beanspruchen, selbst wenn der Weg dorthin durch den Untergrund der Demokratie führt. Das Burgtheater, hehre Institution staatlicher Repräsentationskunst einerseits und künstlerischer Reibebaum andererseits, ist in der österreichischen Kulturgeschichte ein denkwürdiger Aufstellungsort, den nicht nur seine Lage am Ring und die Nähe zum Parlament prädestiniert. Nicht als passive, möglicherweise inspirative Muse steht die Wächterin da, sondern als demokratische Instanz kultureller Wachsamkeit, wo immer Justitias Blindheit zur institutionellen Ignoranz mutiert. Nicht zuletzt deshalb wurde die Skulptur immer wieder zum Treff- und Ausgangspunkt für Aktionen und Demonstrationen im öffentlichen Raum und von Truger selbst auch nach ihrer „Legalisierung“ 2004 weiterhin für Installationen genützt, zuletzt 2007 mit der „Baustellenaktion“ anlässlich der Regierungsbildung; auch ein Verkehrsschild kam zum Einsatz: „Rechtsabbiegen verboten“. http://www.ulriketruger.at/html/gespol_projekte1d.htm
Diese Frauenfigur ist nicht umsonst von kantiger und gleichzeitig mannigfaltiger Beschaffenheit. Das Prozeßhafte ist integrativer Bestandteil der Figur, die Unbehauenheit Teil des Ganzen, die Meißelspuren ziehen scharfe oder auch kleinteilige Kerben in den Stein des Anstoßes. Das Mantelmotiv, das auch die Wächterin (mit)charakterisiert, taucht im Werk von Ulrike Truger immer wieder auf. Der Verweis auf dessen Tradition der Schutz- oder Herrschaftssymbolik wird in ihren Arbeiten transzendiert, das Motiv als Kraftquelle reoccupiert. Und so hüllt sich auch die Wächterin nicht in eine spielerische Morgendekoration, sondern generiert die Wirkung ihres Auf-Tretens aus der Kompaktheit des Mantels als bildhauerisches Gestaltungsmoment.

Frauenfigurationen sind für Ulrike Trugers Werk bestimmend, wenn auch nicht ausschließlich. Vielmehr äußert sich in ihnen auch die Vielseitigkeit der Künstlerin, ihre eigene reflexive Beweglichkeit. Diese gesteht sie auch ihren Frauenskulpturen zu, schreibt sie ihnen ein. Veränderung steht im Mittelpunkt. Der Körper als elementarste Instanz dieser Veränderung von Zuständen, Situationen. Das Behaupten einer Haltung, das Ingangbringen oder -setzen von Bewegung. Truger lässt Frauen aktiv ihre Position einnehmen.

Alle ihre Werke charakterisiert, dass sie nie Pose sind, immer prozessuale Veränderung darstellen, nie geht es um abgeschlossene Absolutheiten – diese würden Stillstand bedeuten. Damit bildet sie nicht nur einen Kontrast zum steinernen Metier, macht sich dessen Ewigkeitsgestus als einen des ewig veränderbaren zu eigen, sondern setzt auch ein Zeichen, der Möglichkeit und Notwendigkeit von Veränderung gegen jegliche Widerstände. In Bezug auf ihre Frauenfiguren bedeutet und bedingt das nicht zuletzt deren Dynamik. Am deutlichsten wird dies in Titelgebungen wie die Sich Erhebende oder die Große Schreitende. Aber auch die Große Sitzende oder die Gestreckte strahlen Selbstbewusstsein und Kraft aus – und diese Kraft ist unabhängig von der physikalischen Beschaffenheit der Körper, egal ob kräftig-kompakt oder rank und schlank geformt, Truger entzieht sich solchen Zuordnungen – und schafft so den Sprung von der weiblichen Körperzentrierung zu deren Aufhebung. Statt eine Voyeuristik zu bedienen, die patriarchale Strukturen fortschreibt, gleichsam weiblichen Körpern einschreibt, sie brandmarkt, setzt sie auf eigenständige Sinnlichkeit, den Anspruch, Körper und Lust nicht aus emanzipatorischen Zielsetzungen zu verdrängen und damit eigene Bedürfnisse hintanzustellen, sondern im Gegenteil Energie daraus zu gewinnen. Vielmehr spielt sie mit Zuschreibungen und Klischees und setzt an ihre Stelle plurale und kraftvolle Neudefinitionen. Die Affektierte begegnet solchen Festlegungen mit stolzer Ironie und behauptet ihre Exzentrik, ja macht sie zur ihrer identifikatrorischen Komponente. Ich will, ich bin! „Eigentlich sind die Frauen immer bewegter!“, so Truger im Interview, als wäre ihr das eben erst aufgefallen. Impulsivität kennzeichnen Künstlerin und Werk gleichermaßen. Energie und Sinnlichkeit. Ihren Arbeiten ist eine Erotik der Berührung eigen, man möchte den Stein mit allen Sinnen erfahren und er/fassen, die Spröde auf der Haut fühlen, die Hand über scharfe Kanten gleiten lassen oder pulvrige Flächen und Kerben nachzeichnen.

Aber es stimmt schon, egal ob Adonis oder Zeus, Trugers Männerskulpturen sind viel statischer konzeptioniert, ein Block, dessen quaderförmiger Umriss abgesehen einzig vom Penis, mal angedeutet, mal ausgeprägt, mal kastriert, kaum gebrochen wird.
http://www.ulriketruger.at/html/grosse_skulptur4.htm

So sehr sich die Künstlerin der ewigen Fixierung der Frau auf die Opferrolle bewusst ist, so sehr bringt sie ihre weiblichen Figuren in möglichst große Distanz dazu. In der Gaja wird dies am explizitesten. Scharfkantiger Behau, massive Formationen, gleichermaßen ein Aufdrängen des Intimsten – eine Provokation, das Gegen den Spiegel Werfen männlicher Dominanz- und Machtansprüche. Bruch der ewigen Dichotomie männlicher Mythenkanonisierung von Heiliger/Hure, Zwang zum Hinschauen, gleichzeitig die eigene Machtdemonstration des Gebärens, Welten machen (entstanden im Jahr 2000, Jahre vor dem aktuellen Biennale-Motto des Fare Mondi) – und welches Material wäre dafür besser geeignet als der von Erdzeitaltern geschaffene Stein. Die Maserung durchzieht ihn, Lebensadern, Verdichtungen und Verdunklungen hin zum Zentrum, hellere Parts an den Formengrenzen. Truger verweist auf den Mythos der Gaja: Weit öffnet sie ihre Schenkel zur Geburt der Erde. Ihre Fruchtbarkeit ist spürbar, auch in diesem grob behauenen Stein. Sie schuf aus sich heraus den Uranos, der mit ihr unter anderen Kindern die Titanen und die Kyklopen zeugte. Uranos aber verbarg diese Kinder tief in der Erde, was Gaja derart erboste, dass sie den Sohn Kronos anstiftete den Gatten zu entmannen. Aus dem Samen des ins Meer geschleuderten Geschlechtes aber entstand Aphrodite. Die Figur besteht aus tauerngrünem Serpentin, in den sie Liebe, Hass und Gewalttätigkeit, Zeugungskraft und Fruchtbarkeit formte.
http://www.ulriketruger.at/html/grosse_skulptur2.htm

Die Widerlegung der Opferrolle ist auch in Trugers Paardarstellungen ein sich immer weiterentwickelndes Thema. Vereinigung und Abgrenzung, sie spart diese Polarität nicht aus, gibt gerade im Sinne der Frau keine Möglichkeit zur gängigen Reduktion: ich liebe / die düne / zwischen unseren ufern […] macht die berührung / die vereinigung / nur möglich / sie als trennende.
Mit der bereits 1988 entstandenen Skulptur Paar/Pietá bricht sie, vor allem durch die Benennung, ein religiöses Tabu, aus der leidenden Maria wird eine sich von ihrem Partner emanzipierende Frau, die Gleichsetzung in der Titelgebung verweist wiederum auf die Veränderbarkeit von Motiven und damit von Denk- und Handlungsmustern.

Ein Schaffensprozess, der auch die eigene Person, Persönlichkeit nicht ausklammert, stattdessen Raum schafft für Bewegung, Experiment, Entwicklung.
Doch Stein bringt auch „Themen auf den Punkt“, so Truger. Konkretisiert Entwicklungsstadien, setzt Markierungen im öffentlichen Raum, tatsächliche Wahr-Zeichen von Urbanität. Kunst schafft Wirklichkeit.

Der Steinerne Fluss bricht sich seinen Weg durch die Hartberger Innenstadt, Truger setzt die Felsen, die Landschaften prägen, mitten in die Shopping-Meile, setzt dem Konsum-Spektakel und dessen Momentbefriedigung Ver-läufe entgegen. „Spektakel will es zu nichts anderem bringen als zu sich selbst“, so Guy Debord. Eigenprofitable Passivität. Truger will das genaue Gegenteil von sich selbst reproduzierender Endgültigkeit. Berg, Fels, gerade in Österreich mit Glorifizierung und folkloristischem Mythos codiert, eine differenzierte Auseinandersetzung, zumal im ländlichen StadtRaum, findet jedoch kaum statt. Auf eine solche besteht Truger. Ein unterirdischer Fluss speist die Skulptur, Verschüttetes, Verdrängtes wird sichtbar – gemacht, da bricht was auf, bricht weg, die Angst, selbst wegzubrechen, wenn bekannte Muster nicht mehr in Stein gemeißelt sind, sondern dieser gegen Ahistorizität Bewegung im Denken und der Wahrnehmung setzt.

In Graz gibt es von Ulrike Truger übrigens original eine (!) Statue – auf dem Friedhof St. Peter, auf privaten Wunsch einer Mutter für ihren verstorbenen Sohn. Ansonsten herrscht die geflissentliche Ignoranz vor, die man Kunst- und Kulturschaffenden traditionell entgegenbringt, die sich außerhalb der lokalen Zirkelschaften bewegen. Eine einst geplante Ausstellung in der Neuen Galerie scheiterte am Bestehen der Künstlerin auf die Aufnahme ihrer Hauptarbeiten, den großformatigen Steinskulpturen, zusätzlich zu den gewünschten frühen Bronzegüssen.

Zwang – Flucht – Freiheit lautet der Untertitel ihrer Elisabeth-Skulptur, die anlässlich des Gedenkjahres 1998 entstand. Truger hatte die Arbeiten, die ebenfalls in diesem Jahr herauskamen, gelesen, und gedacht: „Eigentlich gibt es kein Bild dazu“, keine Visualisierung – abgesehen von den filmisch klischeebeladenen oder jenem „auf dem Thron, auf dem sie nie gesessen ist – da wollte ich einen Gegensatz.“ Truger stellte sich damit einer der am stärksten konnotierten Persönlichkeiten der österreichischen Geschichte. Sie scheut die Diskrepanz zwischen privater und öffentlicher Person nicht, sondern verarbeitet dieses Spannungsfeld der Gegensätze, ohne es aufzulösen. Sowenig wie die Realität einfache Lösungen parat hat(te), sowenig will Truger solche anbieten. Es entstand die Skulptur, die (zumindest) drei Hauptperspektiven in sich vereint. Weißer Marmor als Carrara. Was sonst wäre diesem Mythos Elisabeth auch gerecht geworden? Doch gleichzeitig bricht die Bildhauerin (die Denkmäler durchaus für sinnvoll hält, aber eben naturgemäß abseits von unreflektierter Heldenverehrung und Weichzeichnerei) das Idyll, lässt rohe Flächen stehen, die eine umso stärkere Faszination ausüben und selbst die präzise herausgearbeiteten Elemente verfügen über eine raue Oberflächenstruktur, die die vielfach in sich gebrochene Biographie ungeleugnet fassbar machen. Ein tonnenschweres Monument, das doch soviel Grazie und Verletzlichkeit signalisiert, ein Fächer, der Schutz und Konvention gleichermaßen verheißt, ein Kleid, dessen Falten jede Bewegung neu ordnet – und der Mantel, da ist er wieder, hier keine Insignie ihrer Kaiserinnenmacht, sondern übergeworfen für die Flucht, ein Bild aus einem Märchen, doch gleichzeitig die Gehetztheit jener Flucht, eines Lebens im ständigen Dazwischen.
Sind es die Aufnahmen von Zwischenmomenten, die Ulrike Trugers Kunst charakterisieren? Die Darstellung kleinster Situationen, Einzelbilder eines Daumenkinos, eines Filmstreifens, ein Freeze, das keines ist, und den weiteren Verlauf der Spule nicht absehbar werden lässt, vielleicht springt sie ja aus der Verankerung…
http://www.ulriketruger.at/html/gespol_projekte3b.htm
Die Elisabeth wurde 2001 auf dem Karlsplatz aufgestellt und nach langem Ringen von der Gemeinde Wien angekauft. 2006 wurde sie gegen die Vereinbarung aus dem innerstädtischen Zentrum in den Lainzer Tiergarten zur Hermes-Villa versetzt – Frau wird also wieder in die Idylle, den Garten, den Erbauungsrahmen verbannt – weg aus dem politischen Stadtzentrum an eine naturnahe Peripherie. Gegen das Dekorative hat sich Ulrike Truger immer verwehrt. Spätestens an diesem Beispiel zeigt sich, warum.

Dass jeder Aufbruch Prozesse voraussetzt und nach sich zieht, egal ob am Kaiserhof oder in bzw. aus Ottakring, hat Truger bereits zu Beginn der 1980er Jahre verarbeitet. In den beiden gleichnamigen Skulpturen sind die verschiedenen Phasen der Bewegung erkennbar, Abläufe, die auch auf die dafür notwendige Kraft verweisen, sowohl die erste, ein- als auch die spätere dreiteilige Skulptur. Eine Figur, fast scheint sie verschwommen, die sich aus der anderen löst, aus ihr herausschält, gebiert wenn man so will, sich aus ihr befreit und gleichzeitig auf ihr aufbaut, gestützt wird, sie auch nach sich zieht, weg will und doch die Verbindung nicht lösen kann. Sich selbst schafft aus den anderen. Der dreigeteilte Stein steht in einer Ottakringer Wohnhaussiedlung. Wohnraum in seiner ganzen Breite, Rückzugsraum und Gefängnis, Aufbruchsbasis und Einmauerung statt den Schritt nach draußen. Soziale Ausgangspunkte, die ein Leben bestimmen.
http://www.ulriketruger.at/html/kunst_oeff_raum4.htm

Für einen Aufbruch steht auch der Ikarus, ein Balanceakt der Schwerkraft, spielend mit dem Hoch-Mut des Unbedingten, die Utopie behauptend, ihr mit einem Scheitern näher zu kommen als mit jedem Zögern.
http://www.ulriketruger.at/html/muk_skulptur4.htm

Eine andere Art der Bewegung verkörpert die Tänzerin Isadora. Diese fertigte Truger für ein älteres, in der eignen Beweglichkeit bereits eingeschränktes Ehepaar – die Figur ist mittels ihrer Anbringung auf einem inneren Keil leicht drehbar, also von allen Seiten betrachtbar, ohne den ansonsten für die Erfassung von Trugers Werken notwendigen Rundgang vollziehen zu müssen. Der Stein bringt im Gegenteil Bewegung mit, setzt der erzwungenen Statik etwas entgegen.

Dies ist auch eine Maxime, die auf die älteren Werke der Künstlerin zutrifft, etwa auf ihre Bronzeskulpturen, die als Körper(teil)fragmente nicht einer gewissen Ironie entbehren, etwa das Gespräch, das nur aus aufgestützten Ellbogen um einen Tisch besteht.

Den Detailblick setzte sie mit Pars-pro-toto Arbeiten um, sie zerstückelt Körper regelrecht, da gibt es Ellbogen, einen Rücken, ein Bein, einen Kopf, eine Wirbelsäule. Hier wird das Fragment realiter, Leiblichkeit gleichzeitig konkretisiert und aufgehoben – der gesamte Körper ist nur mehr erahnbar, eben (aus Bild, Erinnerung, Zuschreibung) konstruierbar und doch sagt das dargestellte Element mehr über ihn aus als gemeißelter Ähnlichkeitswahn. Der Kopf stand am Beginn. Seine Glätte sollte sich im Laufe der Zeit zusehends aus den Truger’schen Arbeiten zurückziehen, an ihre Stelle treten nicht nur das Sichtbarbleiben von Spuren aus den Äonen steinerner Entstehungsgeschichte und jener im Steinbruch eingehauener, sondern auch die bewusst von der Künstlerin beigebrachten Untiefen, Einschnitte, Abschliffe.

Diese Unfertigkeit zeichnet auch ihre zahlreichen Torsi aus, die auf den ersten Blick wie noch gerade in Arbeit befindlich wirken, mit ihrem Material, dem Stein kämpfen, seine Grenzen ausloten, wie auch Truger dies bei ihrem Vorgehen, das wohl eher einem Vordringen gleicht, tut.

Eine Arbeit, vermutlich die einzige Trugers, die formal keinerlei Körperbezüge aufweist (bzw. diese fast ausschließlich auf die rezeptionale Meta-Ebene transferiert), verfügt gleichzeitig über den stärksten und unmittelbarsten. Der Gedenkstein für Marcus Omofuma, der 1999 bei seiner Abschiebung unter den Fesseln und Knebeln, mit denen ihm drei österreichische Polizisten Oberkörper, Mund und Nase verklebt hatten, erstickte, nimmt eine singuläre Position sowohl unter Ulrike Trugers Werken als auch darüber hinaus ein.
Als 2002 die Menschenrechtsaktivistin Ingrid Popper bei Truger anfragt, ob und wie eine Skulptur für Omofuma zu bekommen sei, zögert die Künstlerin nicht lange und macht sich an die Realisierung. Um den Kauf des Steines zu finanzieren, fertigt die Bildhauerin zehn Bronzeabgüsse des Modells, von deren Erlös sie den afrikanischen Granit – Nero Assoluto aus Zimbabwe – erwirbt, nachdem sämtliche Finanzierungsanfragen bei öffentlichen Stellen erfolglos blieben. Truger, die bis dato den Einsatz von Maschinen für ihre Arbeiten abgelehnt hat, geht nun mit der Flex zu Werke, um der immensen Härte des Steins die vorgesehene Form einschreiben zu können. Nicht die menschliche Hand ist es, die ihm diese unmittelbar verleiht, sondern die entpersonalisierten Rotorblätter, mit unbarmherzigen und bei der Fehlstellung fatalen Folgen. Absolute, irreversible Brutalität.
Marcus Omofuma war von Menschenhand gestorben, unter ihnen qualvoll erstickt.
2003 beendet Ulrike Truger die Arbeit an dem Stein, er ist drei Meter hoch, schmal und massiv gleichzeitig, gequaderter Wirbelbogen, der nicht selbstverständlich seinen Stand halten kann. Die, man möchte sagen unnatürlich, verschobenen Abstufungen brechen jäh ab, dem Monolithen wurden unzählige Einschnitte beigebracht.
Als sämtliche Gespräche über eine offizielle Aufstellung scheitern, installiert Truger diesen ohne Genehmigung am Herbert von Karajan-Platz neben der Staatsoper. Ein illegaler Akt, eine Raumnahme. Die Frage nach Illegalität. Rechtfertigung von Handlungen. Wie brutal-absurd sind die angestellten Vergleiche. Der Marcus Omofuma-Stein bleibt fünf Wochen vor Ort, bevor er abgetragen wird. Ende des Jahres nimmt er nach zähem Ringen gegen politische und verwaltungstechnische Gegenkräfte seinen Platz vor dem Museumsquartier/Ecke Mariahilfertsrasse ein – einem Kreuzungspunkt von Kunst, Politik und Kommerz, die diese Gesellschaft prägen, die Strukturen schaffen, Menschen schaffen, Tode wie diesen möglich machen. Der Stein ist in der Folge immer wieder rassistischen und neonazistischen Angriffen, Beschmierungen, Schändungen ausgesetzt, die erst im Laufe der Jahre etwas seltener werden. Er war und ist aber immer wieder, wie auch die Wächterin, Treff- und Ausgangspunkt für antirassistische und antifaschistische Kundgebungen und Aktionen. Hier zeigt sich die Wirkung künstlerischer Markierungen, öffentlichen Raum tatsächlich öffentlich zu machen.
Widerstand also. Mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln.

Trugers Tabubruch, gerade als Frau, liegt in ihrer Hartnäckigkeit, es geht nicht um momenthaftes Aufmerksamkeitshaschen – ein solches hat Spektaktel-Charakter und ist damit systemintegrierbar. Die Bildhauerin zielt mittels Ästhetik ihrer Werke auf permanente Präsenz, will sich den Strukturen nicht nur einschreiben, sondern diese auch selbst bestimmen – und das bedeutet nicht weniger, als einen Machtanspruch zu stellen: jenen der ästhetischen Definitionsmacht.

Mit dem Großen Schritt übersetzte Truger 2007 erstmals reine Bewegung ins Visuelle, Haptische, ohne den Umweg über eine Körperdarstellung, aus dem religiös besetzten niederdrückenden Kreuz, an das Anklänge ersehen werden können, wird ein kraftvolles Auftreten, eine Bewegung, die Dogmen nicht gelten lässt. Eine Phase zunehmender Abstraktion zeichnet sich ab, Schnitte, Mechanik, Reduktion.

Aktuell arbeitet Ulrike Truger am massivsten Stein, den sie je für ihre Skulpturen zum Einsatz gebracht hat, ein an die sechs Meter hoher Marmor aus Carrara. Ausdrucksfindung zwischen Künstlerin und Stein, Universalität und Ästhetik, Gesetze in Stein gehauen, ein Kraftakt der Einforderung – diesmal soll es eine Auseinandersetzung mit dem Thema Menschenrechte werden.

 

Ulrike Truger, geboren 1948 in Hartberg/Stmk., hat zwei Töchter, lebt  in Wien und im Burgenland, bis vor einem Jahr Vizepräsidentin des Wiener Künstlerhauses, zahlreiche Auszeichnungen, Stipendien, Auslandsaufenthalte. Sie ist die erste Frau, die eines der Bundes-Ateliers für Bildhauerei im Prater bekam und ist bis heute die einzige  geblieben.

Der Text erschien im Juli 2009 in der Grazer Wandzeitung „AUSREISSER“


Der damals designierte ÖVP-Kanzler Schüssel kam samt ÖVP/FPÖ-Ministerriege und Jörg Haider durch den unterirdischen Verbindungsgang von der Hofburg zur Angelobung ins Bundeskanzleramt während oben am Ballhausplatz gegen die Vereidigung demonstriert wurde.

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