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Eine Ästhetik des Widerstandes

Leander Kaiser, 2004

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Die großen österreichischen Steinbildhauer der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts – von Wotruba über Hrdlicka und Prantl bis zu Ulrike Truger – verbindet ein über das Handwerkliche hinausgehendes Interesse an der Beschaffenheit des Steins. Der Stein ist für sie nicht bloß Material der Formung, sondern besitzt Individualität und enthält gewissermaßen schon die Idee der Figur, die im Dialog mit dem Stein herauszuarbeiten ist. So „einen Stein zu machen“, wie die Bildhauer sagen, ist natürlich für einen Karl Prantl und für Ulrike Truger etwas ganz verschiedenes. Der sinnliche Spiritualismus Prantls verleiht den Oberflächen edelsteinartige Kostbarkeit, wogegen Ulrike Truger den Stein als Felsen behandelt: ein Stück Gebirge, das, wenn auch künstlerisch bearbeitet und zur Figur transformiert, Teil bleibt der unermeßlichen Felsmassen der Erde. Die Eingriffe, die sie vornimmt, erscheinen oft minimal, benützen die Mimikry der Natur- und Bruchform, um doch letzten Endes eine Figur zu beschreiben, die uns als eine Gestalt des Humanen gegenübertritt.

Im Werk Ulrike Trugers gibt es Spielerisches, Lockendes, ja Kokettes. Aber viele Arbeiten demonstrieren in ihrer Monumentalität einen ganz unmodischen und unironischen sittlichen Ernst. Kant hat in seiner Ästhetik die Stimmung des Erhabenen mit der sittlichen Idee in Verbindung gesetzt. Die sittliche Idee der bewußten Antifaschistin Ulrike Truger ist der Widerstand – die nobelste Tradition des 20. Jahrhunderts. Das bezeugen nicht nur die auch als politische Stellungnahme lesbaren Werke wie die „Wächterin“ oder der „Omofuma-Stein“, sondern all die Gesten und Haltungen des Aufstehens aus der Bedrückung, des Sich-Hervorringens, des Emporschreitens, deren Pathos die Gestaltungen der Ohnmacht, der Lähmung, der Angst gegenüberstehen. Das Pathos des Widerstands ist nicht triumphal, sondern versteht sich als Imperativ stets erneuter Versuche der Erhebung nach vielfachem Scheitern. Daß die Niedergeworfenen doch wieder Kraft aus der Erde ziehen mögen, ist ihre Zuversicht. Aufstehend, aufsteigend wird die Figur jedoch nicht entlassen zur Unbeschwertheit aus dem lastenden Gewicht des Steins: so – paradigmatisch – der „Ikarus“ in der Kraft seiner zum Sturz verurteilten Schwere.

Ulrike Truger bewegt sich künstlerisch in Gegensätzen. Es gibt den Gegensatz zwischen der Individualität der Natur- und Bruchform des Steins und der lebendigen menschlichen Körperlichkeit, die sie mit dem Stein verbindet und aus ihm herausarbeitet. Ein weiterer Gegensatz ist der zwischen dem mineralischen und dem organischen Reich, oder der zwischen festen und fließenden Körpern, Gegensätze, die sie in Werken wie dem (versteinerten) „Drachen“ und der „Welle“ zu paradox selbstreflexiven Aussagen über die Bildhauerei ausformuliert.

Daß es sich bei Ulrike Truger oft um Vorgänge der Geburt, des Sich-Entwindens, des Gerade-Erst-Erstehens aus der Materie handelt (so daß die Menschengestalt noch die Erinnerung an die Erde, aus der sie gemacht wurde, an sich trägt – doch Trugers Prometheus hat in Stein, nicht in Ton gearbeitet), ist von ihr und anderen öfters gesagt worden. Der Torso ist ihr darin wesentlich, Hervorscheinen, Heraustreten der Gestalt aus dem Stoff, aus dem Zufälligen des vorfindlichen Steins. Wie bei Medardo Rosso die Figuren zurückzusinken scheinen in die Wärme des Wachses, ist der Stein bei Ulrike Truger auch eine wärmende Behausung der Figur, eine Art Naturheimat im Stein, ein Zurück in den Mutterleib der Erde. So fügt sie dem Thema des Hausens in der modernen Plastik (denken wir an Arturo Marini oder Gormley) eine wichtige Variante hinzu.

Die Wanderung im Stein, Felsen, Gebirge ist auch als künstlerische oft eine Gratwanderung und hat ihre Abgleitflächen sei es in einer bloß symbolischen Formung und Ornamentierung, sei es in der Inszenierung „ästhetischer Naturkraft“ des Steins. Daß wir das Material bei Ulrike Truger nur selten als bloß äußerlich geformt erleben oder in die Routine romantisierender Naturanschauung verfallen, zeigt ihr präzises Wissen um den Weg von der Anschauung und taktilen Vorstellung über die Erinnerung und Benennung zu Sinn und Gedächtnis. Ihre Steine sind für den Betrachter mit diesem Weg bezeichnet und treten so mit ihm in Interaktion. Das ist künstlerische Geistesgegenwart bereits jenseits des 20. Jahrhunderts.

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